11 Paten?

Hallo zusammen,

Ich bin verwirrt über einen Taufeintrag (Nr.17) eines Kindes im Jahr 1833.
Das Kind ist laut Eintrag das 5te uneheliche Kind, der 2te Sohn dieser Frau. Es wird angegeben, dass der Vater der Mutter, also Großvater des Kindes nach Amerika ausgewandert ist.
Der Vater hat sich zu dem Kind bekannt und neben 11 anwesenden Taufzeugen das Taufprotokoll unterschrieben. Noch dazu scheinen viele der Taufzeugen aus umliegenden Orten zu kommen und da Sie unterschrieben haben, müssten Sie ja auch für die Taufe angereist sein? Teilweise sind die Orte über 30 km entfernt.

Hat jemand eine Idee oder gibt es eine Erklärung für die 11 Taufzeugen?
 
Hallo,

es gibt viele Texte zu Paten, aber hier muss man wahrscheinlich auf die Bezeichnung Taufzeugen achten.

Pate – GenWiki - siehe Taufzeugen

Ich kann dazu nur eine Vermutung abgeben:

dass die hohe Anzahl der Zeugen mit der Lebensgeschichte der Mutter, allein, unehelich, Eltern ausgewandert usw., zusammenhängt und man dies als Unterstützung ansah. Dazu müsste man die weiteren Einträge recherchieren.
Angegeben wurde auch, dass der siebte Trauzeuge nicht anwesend war, aber genannt wurde.

LG
 
Die Paten 6 und 7 aus Wetzlar waren nicht anwesend, vermutlich Vater und Schwester von dem Kindes Vater August Rehm/Rahm. Vielleicht war es auch wichtig das sie durch ihre Patenschaft das uneheliche Kind anerkannten?
 
Zum Hintergrundverständnis lesenswert ist z.B. die Veröffentlichung von Jürgen Schlumbohm "Die Verwandtschaft von unehelichen Kindern im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert"

.....Das heißt: Zuständig auch für die Versorgung unehelicher Kinder waren Familie und Verwandtschaft, faktisch vor allem die Mutter und ihre Verwandten,......


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Oder Sie googlen z.B. einmal nach

versorgung unehelicher kinder im 19. jahrhundert

Sie werden viele Treffer unter "Alle" und auch unter "Books" erhalten, die sich mit diesem Thema befassen.


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Hintergrund der ungewöhnlich hohen Taufzeugenanzahl in Ihrem speziellen Fall dürften meiner Ansicht nach primär(!) Versorgungsaspekte dieses unehelichen Kindes sein, damit es im Fall der Fälle nicht der Allgemeinheit "zur Last fällt".
 
In etlichen Berichten und Vermerken zu diesem Thema, in welchen das "Bitten" zahlreicher Taufpaten als eine Art Unsitte gerügt wird, klingt ein explizit wirtschaftlicher Aspekt an. Offenbar versuchten, zumindest in den Augen der Kirche, zu viele Personen mit geringen Einkünften, über die obligatorischen Patengeschenke und -gelder, ihre Einkommenssituation etwas zu verbessern. Gesellschaftliche Normen scheinen es auf der anderen Seite schwer gemacht zu haben, die Bitte nach Übernahme einer Patenschaft abzulehnen, wie einige der folgenden Zitate vermuten lassen:

"Mit Bezugnahme auf die vorstehende Verordnung vom heutigen Tage machen wir, um einem Mißbrauche vorzubeugen, welcher durch die Aufhebung der Beschränkung der Zahl der Taufpathen entstehen könnte, darauf aufmerksam, daß in allen Fällen, wo notorisch die Taufzeugenschaft nur des Bettelns wegen begehrt wird, es nicht blos zulässig, sondern um der Würde der Kirche und des Sacraments willen geboten erscheint, die Annahme einer Pathenstelle zu verweigern, da christliche Barmherzigkeit und Wohlthätigkeit freiwillig geübt, aber nicht erzwungen werden soll.
Arolsen am 31. October 1871.
Fürstlich Waldeckisches Consistorium. Gleisner"



"Ueber die Pathenpflicht s. die Agende und die Meining. Verordnung 12. März 1777, nach welcher auch Niemand gehalten sein soll, gegen seinen Willen zweimal in Einem Jahre Gevatter zu stehen. ... Mißbrauch der Taufe durch Erbitten von Gevattern aus Gewinnsucht ist verboten..."


"Das in unseren Tagen durch vermehrte Anzahl der Taufzeugen in den niederen Ständen fast zu einem Handelsartikel herabgewürdigte Pathenwesen, gegen welches die kirchliche Gesetzgebung billig einschreiten sollte, hätte nicht ganz unerwähnt bleiben sollen.
(Allgemeine Kirchenzeitung. 11/1832)"



"Die Anzahl der Taufzeugen ist durch ein Edikt von 1774 wieder von neuem auf drey bestimmt worden, worauf aber nicht mit Ernst gehalten wird; sonderlich suchen arme Personen, durch die Taufgeschenke, die Kosten bey der Geburt des Kindes zu bestreiten, und bitten deshalb viele Gevattern.
(Preußen)"



"...hat man ersehen, auf welche ärgerliche Weise eine Weibsperson durch Erbittung von16 Paten zur Taufe ihres unehelichen Kindes ihren Mangel an Scham und Reue über den begangenen Fehltritt an den Tag gelegt hat...
(Königliches Oberkonsistorium München, 1839)"

 
Sehr erhellende Informationen, die hier zusammengetragen wurden!

Bei den "Massenpatenschaften", die mir bislang im dörflichen Umfeld begegnet sind, hatte ich meist vermutet, dass es ein Akt der Solidarität der Dorfjugend gewesen sein könnte, wenn eine von ihnen unehelich Mutter wurde, da dann mehrheitlich die jungen, ledigen Leute der Gemeinde Paten (oder Taufzeugen?) wurden.

Glückauf
Wolfgang
 
Das ist echt Interessant.
Unter den von @Curiosita genannten Gesichtspunkten habe ich die Taufe und die dazugehörigen Paten bisher nie betrachtet. Aber ich denke, dass ergibt Sinn, da die Taufpaten oftmals eine andere Berufsbezeichnung haben als nur "einfacher" Ackermann. Wahrscheinlich ging es wirklich ums Geld.
Ich habe mal weiter gesucht und 2 weitere Taufen gefunden. Vater ist bei allen 3 Taufen der gleiche Mann.
Taufe 1831/18 , 3 Paten
Bei einer weiteren Taufe 1836/1 sind es wieder 9 Taufpaten.

@Curiosita darf ich dich noch etwas zur Taufe allgemein in dieser Zeit fragen? Verstehe ich das nach lesen der von dir verlinkten Artikel richtig? Die Eltern bzw. bei unehelichen Kindern die Mutter bestimmt Taufpaten und diese sind dann mehr oder weniger verpflichtet das Patenamt anzunehmen und entsprechend Taufgeschenke zu übermitteln?
 
Die Eltern bzw. bei unehelichen Kindern die Mutter bestimmt Taufpaten und diese sind dann mehr oder weniger verpflichtet das Patenamt anzunehmen und entsprechend Taufgeschenke zu übermitteln?
Die potenziellen Taufpaten wurden sicherlich gefragt, ob sie dazu bereit wären. Aber aus den beiden ersten Fundstellen wird ersichtlich, dass es offenbar gar nicht so einfach war, so ein Ansuchen rundheraus abzulehnen, sonst hätte man nicht kirchlicherseits zur Verweigerung ermuntert, für den Fall, dass es sich augenscheinlich um schlecht verbrämte "Bettelei" handeln würde. Nach erfolgter Einwilligung in die Übernahme der Patenpflicht wird man dann allerdings um eine Gabe in ortsüblicher Höhe nicht herumgekommen sein.

Betuchte Leute und Adelige haben zuweilen sicher auch bereitwillig Patenschaften übernommen, um sich als großzügig und einflussreich zu präsentieren. Dieser Ausschnitt nennt das um der "Pracht und Hoheit willen":

Wobei es offenbar auch Fürsten gab, denen es "zuviel" wurde (s.a. Absatz "Nichtpolitisches" rechts unten):

Was ich noch nicht recht verstanden habe, ist eine beiläufige Bemerkung über Hebammen, welche möglichst viele Paten im eigenen Interesse "auftreiben" würden:

Zu Ende gedacht würde das bedeuten, dass sich rund um das Patenwesen möglicherweise hier und da sogar ein kleines "Business" entwickelt hatte. Denn die Bemerkung machte ja nur Sinn, wenn die Hebammen als ihrerseits entlohnte Vermittlerinnen agierten, sofern man nicht unterstellen will, dass im Zuge der Übermittlung des Patengeldes/Eingebindes an die Wöchnerinnen (was offenbar einstmals auch zu den Hebammen-Pflichten zählte - s.a. https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11923975?page=40,41&q=eingebinde) gewisse Teilbeträge bei ihnen "hängen" geblieben sind.
 
Wahrscheinlich ging es wirklich ums Geld.

Und Sie glauben wirklich, daß all diese Personen, die bei diesen unehelichen Kindern als Taufpaten auftreten, dies nur deshalb tun, weil sie "scharf darauf sind" ein bisschen Geld für die Übernahme des Patenamtes zu erhalten und/oder zum Taufessen eingeladen zu werden? :oops:

Vielleicht hilft es, den notwendigen Blick auf die möglichen Zusammenhänge von "Patenschaften" auf gegebene dörfliche Strukturen (Strukturen des dörflichen Zusammenlebens) zu Beginn des 19. Jahrhunderts im ländlichen Raum auszudehnen.

Ferner sollte man insbesondere in solchen dörflichen, oft enggefügten Strukturen zudem auch nie die Pflichten von Paten ausser acht lassen.
(Diese konnten sich mindestens bis zum Eintritt des Täuflings in die "Erwachsenenwelt" - Stichwort: Konfirmation > üblicherweise: Beginn der Ausbildung - nämlich nicht einfach, nach verzehrtem "Taufschmaus" aus dem berühmten Staube machen.)

Und ja, Hebammen (oder auch Totenfrauen) fungierten auch in eben solchen -oft dörflich geprägten- Gemeinschaften als Patenbitter (bzw. Totenbitter), oder wie immer Sie diese Aufgabe regionaltypisch nennen mögen.
(Ähnliche Funktion, deshalb hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt: Hochzeitsbitter.)
 
Zu Ende gedacht würde das bedeuten, dass sich rund um das Patenwesen möglicherweise hier und da sogar ein kleines "Business" entwickelt hatte. Denn die Bemerkung machte ja nur Sinn, wenn die Hebammen als ihrerseits entlohnte Vermittlerinnen agierten, sofern man nicht unterstellen will, dass im Zuge der Übermittlung des Patengeldes/Eingebindes an die Wöchnerinnen (was offenbar einstmals auch zu den Hebammen-Pflichten zählte - s.a. https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11923975?page=40,41&q=eingebinde) gewisse Teilbeträge bei ihnen "hängen" geblieben sind.
In Brandenburg wurde schon im 17. Jh. verordnet, das nicht mehr wie 5 Paten zulässig sind und für die Überzähligen Gebühren anfallen. Um 1760 sieht man dann zumindest in einer Inspektion das Geld für die Überzähligen Paten an die Predigerwitwenkasse gezahlt wurde. Also könnte es doch auch gut sein, das in Hessen der Oberste festlegte die Gelder für die Hebammen zu nehmen, um deren Situation zu bessern. Das muß dann aber auch irgendwo festgehalten sein.
 
Und Sie glauben wirklich, daß all diese Personen, die bei diesen unehelichen Kindern als Taufpaten auftreten, dies nur deshalb tun, weil sie "scharf darauf sind" ein bisschen Geld für die Übernahme des Patenamtes zu erhalten und/oder zum Taufessen eingeladen zu werden?
Ich habe Curiosita so verstanden, dass es eher den Eltern, bzw. der Mutter darum ging über die Geschenke der Paten Einkommen zu generieren. Ist ja auch in den angeführten Quellen gut beschrieben. Daher mein Satz "Wahrscheinlich ging es wirklich ums Geld".
Offenbar versuchten, zumindest in den Augen der Kirche, zu viele Personen mit geringen Einkünften, über die obligatorischen Patengeschenke und -gelder, ihre Einkommenssituation etwas zu verbessern. Gesellschaftliche Normen scheinen es auf der anderen Seite schwer gemacht zu haben, die Bitte nach Übernahme einer Patenschaft abzulehnen, wie einige der folgenden Zitate vermuten lassen:
 
In Brandenburg wurde schon im 17. Jh. verordnet, das nicht mehr wie 5 Paten zulässig sind und für die Überzähligen Gebühren anfallen. Um 1760 sieht man dann zumindest in einer Inspektion das Geld für die Überzähligen Paten an die Predigerwitwenkasse gezahlt wurde. Also könnte es doch auch gut sein, das in Hessen der Oberste festlegte die Gelder für die Hebammen zu nehmen, um deren Situation zu bessern. Das muß dann aber auch irgendwo festgehalten sein.

In preußischen Gebieten flossen diese Gebühren offenbar tatsächlich auch in Hebammeneinrichtungen:

Aber, ob die Kritik am Eigeninteresse darauf abzielte? Vermutlich bezieht diese sich eher auf die Beträge, welche die Hebammen für jeden weiteren geworbenen Paten zusätzlich erhielten, indem sie von den Paten beschenkt bzw. für die geleisteten Vermittlungsdienste (Gevatterbitten, wie von vnagel2004 bereits erwähnt) vergütet wurden.


dass es ein Akt der Solidarität der Dorfjugend gewesen sein könnte, wenn eine von ihnen unehelich Mutter wurde, da dann mehrheitlich die jungen, ledigen Leute der Gemeinde Paten (oder Taufzeugen?) wurden.

Interessant fand ich in diesem Zusammenhang die Bemerkung, dass in einer Region in Unterfranken bei unehelichen Müttern nicht nur, von Haus aus und ganz offiziell, eine höhere Anzahl an Paten als gewöhnlich vorgesehen war (vier), sondern auch, dass diese, wohl im Rahmen der Armenfürsorge, sogar durch die Gemeinde "rekrutiert" wurden (linke Seite oben): https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11828687?page=212,213&q=gemeinde+UND+gevattern. Das weist ebenfalls in die Richtung, dass die soziale Härte einer unehelichen Geburt in der Dorfgemeinschaft etwas abgepuffert werden sollte.

Insgesamt dürfte die vielstimmige Kritik der Kirche an einer gewissen "Kommerzialisierung" der Einrichtung Patenschaft nicht völlig aus der Luft gegriffen gewesen sein, insbesondere da es ja schon etwas schwer fällt, "Massenpaten" mit der eigentlichen Bestimmung und Aufgabe dieses Amts, für die religiöse Erziehung des Kindes zu bürgen, in Einklang zu bringen. Abgesehen von explizitem Betrug, welcher auch vorgekommen sein soll (ganz witzige Story: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10335903?page=75&q=(betrug+UND+gevatterbitten)), erscheint es mir durchaus plausibel, dass es Fälle gab, bei denen das finanzielle Interesse (sei es auf Seiten der Gevatterbitter, sei es bei den Eltern/Müttern) eine gewisse Handlungstriebfeder war, wie diese Fundstellen auch noch mal belegen:

 
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