Warum ist K. aus der Kirche aufgetreten?

Carl Wilhelm Kummer

Ich bitte Hilfe beim Entziffern der Handschrift und auch beim Verstehen des historischen Kontexts.

Eintrag 321 Spalte 8: Nach Willy d. [L..s] [g...] in Leipzig ist K. am 30.1.1939 aus der Ev. Kirche aufgetreten.

Vielleicht gibt es einen Zusammenhang mit der berüchtigten Reichstagsrede an diesem Tag. Vielleicht auch nicht. Ich möchte gerne verstehen, warum er die Kirche verlassen hat.
 
Nicht "Willy", sondern "Mitteilung".
Da steht:

Nach Mittlg. d. Bethlehemsgemeinde
in Leipzig ist K. am
30.1.1939 aus der Ev. Kirche
ausgetreten.
 
Das wirst du nur erfahren wenn du ihn selbst fragst. Und das wird schlecht gehen. Er muß nirgends Gründe dafür angeben. Kann auch sein das er einfach die Kirchensteuer nicht mehr zahlen wolle/konnte. Oder er war einfach nicht gläubig. Die Eltern haben ihn taufen lassen, er selbst als Erwachsener wollte das aber nicht (mehr).
 
Nach Beginn der Nazi-Diktatur 1933 gab es eine Menge ideologisch motivierter Kirchenaustritte - mit einer regelrechten Welle von 1937-1939.

Aus dem verlinkten Wikipedia-Eintrag:
"1936 wurde auf den Melde- und Personalbögen der Einwohnermeldeämter sowie den Personalpapieren der Begriff „gottgläubig“ eingeführt. Da die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wie auch „Freidenkertum“ im Nationalsozialismus nicht als karrierefördernd galt, bot die amtliche Bezeichnung „gottgläubig“ für konfessionslose Nationalsozialisten einen Ausweg, um so zu dokumentieren, dass man durch einen Kirchenaustritt nicht automatisch „ungläubig“ wurde.[2]

Kirchenaustritt von 1937 bis 1940 war stark von der „Gottgläubigkeit“ der Nationalsozialisten und Diskussionen rund um kirchenkritische Schriften von Autoren wie Alfred Rosenberg (Bekenntnis: „gottgläubig“ oder „deutsch-gottgläubig“) und Mathilde Ludendorff („Bund für Deutsche Gotterkenntnis)“ getragen."


Glückauf
Wolfgang
 
Vielleicht gibt es einen Zusammenhang mit der berüchtigten Reichstagsrede an diesem Tag.

Da müsste der Pfarrer oder das Gemeindebüro aber "Nachtschicht" gemacht haben, denn wie in vielen Quellen dokumentiert....

"Am Abend [des 30.01.1939] versammelten sich in der Krolloper die Abgeordneten des Reichstags zur traditionellen Sitzung. Hitler betrat das Podium um 20.15 Uhr. Seine Rede ..... dauerte mehr als zweieinhalb Stunden."


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Ideologisch motivierter Kirchenaustritt > ja.
Folge der bzw. unmittelbarer Zusammenhang mit der o.a. Rede > nein / unwahrscheinlich
 
Wenn er nach 1939 bei der Wehrmacht oder einer staatlichen Behörde tätig war, dann ist das als Grund für den Kirchenaustritt sehr naheliegend.
 
Vielen Dank an alle! Die historischen/politischen Anmerkungen waren äußerst interessant. Ein Miniseminar! (y)

Ich hätte es schon früher erwähnen sollen, aber mein Cousin Carl Wilhelm Kummer war 1939 bereits 63 Jahre alt. Er hatte seine Gründe, die natürlich im Laufe der Zeit verloren gegangen sind, aber Spekulationen machen Spaß.

Da ich nun jedoch weiß, dass Herr K. Mitglied der Bethlehemgemeinde war, habe ich einen Beweis, der ihn mit Karl Wilhelm Kummer in der Kaiser-Wilhelm-Straße 73 in der Südvorstadt Leipzig in Verbindung bringt. Dieser Herr Kummer war Fabrikdirektor. Möglicherweise war er (seit 1912) Angestellter bei Heine & Co.
 
Nur um noch noch etwas Senf dazuzugeben: in den NS-Nachweisen meiner Großeltern war über meine Urgroßmutter zu lesen: "ist aus der Landeskirche ausgetreten und der Neuapostolischen Sekte beigetreten."
Sowas kann also auch ein Grund sein. In der Zeitstellung 1939 wird wohl eher die Ideologie der Grund gewesen sein.
 
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