1816, das Jahr ohne Sommer

Kennt jemand Einträge zum Wetter, vielleicht sogar in den Jahren 1816 / 17 im Bereich Welzheim, Schwäbisch Gmünd, Backnang..
? Ich meine, solche Einträge in den Kirchenbüchern schon gesehen zu haben, finde aber aktuell nichts mehr.
Vorab vielen Dank, Wolfgang
 
Hier ein Google-Fund zum Wetter 1816 in Backnang, dürfte in Welzheim und Schwäbisch Gmünd ähnlich gewesen sein.

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Backnang im 19. Jahrhundert

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1816

Das Jahr ist ungewöhnlich naß und kalt. Die Sonne ist mit schwarzen Flecken bedeckt. Schauerliche Gewitter gehen nieder. Es gibt keinen Monat, in dem man nicht heizen muß. Weder Wein noch Frucht können gedeihen. Obst gibt es überhaupt nicht. Schon am 17. Oktober tritt harter Frost auf. Das Brot ist Mangelware und schlecht. Die Kartoffeln verfaulten durch die Feuchte. Eine ungewöhnliche Teuerung ist die Folge, die auch 1817 bis zur Ernte anhält. Die Stadt wendet 52.574 Gulden auf, um von auswärts Getreide aufzukaufen, das zum Selbstkostenpreis an die Familien abgegeben wird. Ein Teil geht kostenlos an die Armen.

Um die Not zu lindern, wird der Württembergische Wohltätigkeitsverein gegründet; dies ist einer der ersten Vereine in Backnang.

Quelle: kirschmer-backnang.de > Stadtchronik 1800-1989 (PDF)
 
Hallo Daniel,
vielen Dank für die schnelle Antwort, das ist genau die Info, die ich gesucht habe. Über die Hungersnot 1816 gibt es zwar einige Einträge in den Totenregistern, aber die Hintergründe sind nicht kommentiert.
Gruß, Wolfgang
 
Hallo Falbrecht,
vielen Dank für den Link zu dem Zeitungsartikel. Auch nach 100 Jahren war die Hungerkatastrophe von 1816 noch nicht vergessen, sehr aufschlussreich!
Gruß, Wolfgang
 
Kennt jemand Einträge zum Wetter, vielleicht sogar in den Jahren 1816 / 17 im Bereich Welzheim, Schwäbisch Gmünd, Backnang..
? Ich meine, solche Einträge in den Kirchenbüchern schon gesehen zu haben, finde aber aktuell nichts mehr.
Vorab vielen Dank, Wolfgang
Sehr geehrter "Wolfgang03",
in den evangelischen Kirchenbüchern Badens gibt es dutzende Wetter- und Ernteaufzeichnungen, aber auch Erdbeben-Berichte (alles 18. und 19. Jh.). Vielleicht sind diese vergleichend für Sie aufschlußreich?
Bei Interesse finden Sie die Erschließungsdaten in unserem "Findbuch Kirchen-, Familienbücher, Israelit. Standesbücher (Verfilmungen)" (PDF) auf der Website des Landeskirchlichen Archivs Karlsruhe: https://www.archiv-ekiba.de/was-haben-sie-vor/familienforschung/; alle Kirchenbücher sind ja in Archion veröffentlicht.
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Löber
 
Hallo,

am Abend des 5. April 1815 brach der Vulkan Tambora in Indonesien mit einer apokalyptischen Gewalt aus. Auch unser Klima wurde im folgenden Jahr/Jahre durch den Vulkanausbruch verändert. Bayern und Baden-Württemberg traf es besonders schwer (Ich glaube auch gelesen zu haben, dass es auch die Schweiz betroffen hat) Aber auch andere Gebiete.
Das Internet ist voll von Artikel zur diesem Ereignis und den Einfluß weltweit.


Grüsse von Andrea
 
Hallo,

noch ein Nachtrag

Die Menschen in Bayern bekommen die Folgen des Vulkanausbruchs an der Ernte zu spüren: „Es war ein großes Regenjahr. Es regnete vom 20. Mai bis Weihnachten fast täglich“, steht in der Dorfchronik der Gemeinde Böbing, Kreis Weilheim-Schongau. „Heu und Getreide konnten nicht eingebracht werden und verdarben auf den Feldern. Es gab eine große Teuerung.“ Die dürren Worte der Aufzeichnungen aus dem Jahr 1816 werden der schweren Krise kaum gerecht, die im Folgenden ganz Mitteleuropa erfasst.
Als „Achtzehnhundertunderfroren“ geht das Jahr in den Volksmund ein

Andrea
 
Bittenfeld, Dek. Waiblingen:


"1816-1817
Fürchterliche Hungers- Noth
Die beyspiellose naßkalte Witterung im Sommer 1816 verursachte auch in
ganz Europa ... eine beyspiellos schlechte Ernte" ....
 
Effringen, Dek. Nagold:

"Nachdem im Jahre 1815 keine reichliche
Ernte gewesen, und im Jahre 1816
völliger Misswuchs eingetreten ist, so
sind im Monat Junius des Jahres
1817 die Fruchtpreise auf folgende Höhe
gestiegen:
.... "
 
Herzlichen Dank an alle, die auf meine Anfrage geantwortet haben. Ich bin schwer beindruckt vom Detailwissen der Forumsmitglieder und freue mich über die Anregungen, das Thema weiter zu vertiefen.
Grüße, Wolfgang
 
Hallo Wolfgang, in Welzheim ist ein erneuter Vortrag vorgesehen zu diesem Thema, der leider erneut verschoben wurde wegen Krankheit. Sollten Sie Interesse daran haben könnte ich Ihnen Bescheid geben, wann der tatsächlich sattfindet. Wie komme ich an Ihre Mailadresse o.ä., Interesse vorausgesetzt? Es gab schon mal einen Vortrag einer Professorin aus Hohenheim. Viele wanderten aus, hier wirkten sich auch die guten dynastischen Verbindungen zu Russland positiv aus, denn von Russland gab es Korn für Württemberg. Wilhelm I., König von Wttbg., hat 1816 die Zarentochter Katharina (Jekaterina Pawlona) geheiratet.
 
Email-Adressen etc. tauschen Sie am Besten per privater PN aus --- siehe Briefumschlag Symbol rechts oben im Fenster.

Danke und Gruss
 
Ich habe diese Wetternotiz von 1703 aus Jeetze in der Altmark im Kirchenbuch gefunden:

NB Den 9.10b* am Sonnabend war ein erschwer,,
licher Sturm Wind oder Orcan, welcher die Ge
bäude so beschädigte, daß es in den Städten und auf
den Dörfern das Ansehen hatte, als wenn allens
hatten große Feuers Noth gewesen, hat Wind Bäu,,
me niedergerissen. Ich hatte nach meiner Krank
heit, noch nicht rechte Kraft in meinem Beinen, wär
bald ümkommen auff dem Wege von Siepe, da
ich in großer Gefahr Beichte geseßen, und die Steine
von der Kirchen häufig herab gefallen; Der Wind
kam mir auf den Rücken (Südwest) und wollte
mich immer zur Erde werfen. Ich konte n aufwerts n = nicht
gehen, sondern mußte mit gebogenen Knien und mit
den Rücken mit aller Macht mich gegen den Wind leh
nen. Der mich doch gar ofte bey nahe gestürtzet hätte
so daß ich Gefahr meines Lebens hatte, mußte noch
einmal so lange als sonst, auf dem Wege zu brin,,
gen. Gott Lob für gnädige Hülfe und Beystand.
Der MühlenKnecht, Meyer, auch der Herr Christian
Otto von Jeetzte
hatten große Gefahr bey der Mühl.

Von dem Originaleintrag habe ich auch ein Foto gemacht.
 
Hallo Letteetter,

vielen Dank für den Hinweis. Für mich ist allerdings mehr das Wetter in Süddeutschland interessant, da das Jahr ohne Sommer anscheinend der letzte Anstoß für einige meiner Vorfahren war, nach Amerika auszuwandern. Trotzdem ist die Schilderung eines solchen Sturms beeindruckend.

Grüße
Wolfgang
 
Hallo Wolfgang,
Zum Thema gibt es ein interessantes Buch von Waltraud Düwel-Hösselbarth: Ernteglück und Hungersnot; 800 Jahre Klima und Leben in Württemberg. ISBN 3-8062-1711-4. Ist aber nur noch über Antiquariate erhältlich

Grüße
Evi
 
Für mich ist allerdings mehr das Wetter in Süddeutschland interessant, da das Jahr ohne Sommer anscheinend der letzte Anstoß für einige meiner Vorfahren war, nach Amerika auszuwandern.
Das Jahr ohne Sommer und die Auswanderungen lassen sich doch nicht nur auf das Wetter zurückführen.
Ursache war u.a. der Vulkanausbruch Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa tonnenweise Magma, Staub und Asche bis zu 15 Kilometer hoch in die Atmosphäre. Der Himmel verdunkelt. Die Folgen der riesigen Eruption im April 1815 sind verheerend: Ernten verderben, viele Nutztiere verenden, für die Menschen kommt es in den Jahren 1816/17 zur schlimmsten Hungersnot des 19.Jahrhunderts.
Der Hunger, die Verzweiflung der Menschen, die sprunghaft ansteigenden Lebensmittelpreise und die vielen Entlassungen in Betrieben haben für eine explosive Mischung gesorgt. Es stand schon länger schlecht um die Landwirtschaft im Schwabenland. Unstrukturiert, unterentwickelt und das Land geschwächt durch die Napoleonischen Kriege, konnte das Bevölkerungswachstum kaum ausgeglichen werden. Als dann noch der Tambora ausbrach und sich auch im 12.000 Kilometer entfernten Europa der Himmel verdunkelte, suchten viele Menschen ihre Rettung in der Flucht nach Russland oder in die Neue Welt.
Mit dieser sozialen Katastrophe war nun ein Königspaar konfrontiert, das erst gerade auf den Thron gelangt war: Wilhelm I. von Württemberg und Catharina Pawlowa. Catharina bot den Menschen Hilfe zur Selbsthilfe an, anstatt sie nur mit Almosen abzuspeisen.
Sie gründete auch den Wohltätigkeitsverein (Vorläufer des heutigen Wohlfahrtswerks Baden-Württemberg), eine Armensparkasse (die heutige Landesbank Baden-Württemberg), ein Mädchen-Erziehungsinstitut (das heutige Königin-Katharinen-Stift) und sie plante die Gründung des späteren Katharinenhospitals. Sie wirkte auch bei der Einrichtung des Landwirtschaftlichen Vereins in Württemberg und bei der Gründung der landwirtschaftlichen Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt, der heutigen Universität Hohenheim mit. Auch eine Einrichtung zur Gewerbeförderung geht auf die Königin zurück.
Nur drei Jahre - bis zu ihrem Tod 1819 - regierte Catharina als Königin über Württemberg, doch ihr Einsatz in der Krise veränderte das Land maßgeblich. Die von ihr gegründeten oder erdachten Einrichtungen dauerten nicht nur bis zur Entspannung der Notlage mit der guten Ernte des
Jahres 1817 an, sondern sind bis heute wirksam. --

Aus der Ludwigsburger Kreiszeitung:

Der Vulkan und die schlechte Ernte

Vor 200 Jahren brach in Indonesien der Vulkan Tambora aus, daraufhin wanderten aus unserer Region viele Menschen aus. In den beiden folgenden Jahren spielte die Natur verrückt, als Konsequenz mussten Mensch und Tier Hunger leiden. Aber erst 1920 fanden amerikanische Klimaforscher heraus, dass der Ausbruch dieses Vulkans hauptsächlich für die Abkühlung des Klimas verantwortlich war. Der Tambora war 1815 explodiert und schleuderte Millionen von Tonnen Asche und Schwefelsäure in die Luft. Das veränderte das Klima für Jahre - weltweit.
Dabei hatte das 19. Jahrhundert gut angefangen. 1811 war ein prächtiges Jahr für die Landwirte und Weinbauern. Es sollte die beste Ernte des gesamten Jahrhunderts eingefahren werden. Im Jahr 1816 stand dann das schlimmste Jahr vor der Tür - in Süddeutschland, der Schweiz und im Elsass. Es war ein "Jahr ohne Sommer". Wegen der gesunkenen Temperaturen kam es zu Unwettern und damit zu katastrophalen Missernten. Die Getreidepreise stiegen um das zwei- bis dreifache. Das konnten sich in den Provinzstädtchen im armen Württemberg, die meisten Leute kaum leisten. - Auch das Vieh hatte nichts mehr zum Fressen, denn die Heuernte fiel sehr schlecht aus. Im Bietigheimer Wetterbericht heißt es: "1816 ersoff bei dem immerwährenden Regen. Die Gerste und der Weizen gerieten nicht. Die Heuernte war Ende Juli und die Fruchternte Ende August. Das Vieh musste zum Teil notgeschlachtet werden, da es kein Futter gab. Die Menschen verwendeten Stroh, Kleie und Baumrinde um damit Brot zu backen. Um Getreide kaufen zu können, mussten viele einen Teil ihres Besitzes verkaufen.
Im Jahr 1815 stieg die Zahl der Auswanderer in Bietigheim sprunghaft an. Es sind 1815 nur 2 Menschen verzeichnet, die ihrer schwäbischen Heimat für immer den Rücken kehrten. 1816 waren es 18 Auswanderer und im folgenden Jahr 52. Die Hungersnot und die Missernten im Südwesten lösten somit den ersten Emigrationsstoß im 19. Jahrhundert aus.
Besonders betroffen waren Bauern und Weingärtner. In Bietigheim und Metterzimmern sind zwischen 1816 und 1818 insgesamt 41 Bauern und 32 Wengerter ausgewandert. Dabei ging es nicht immer in Richtung Nordamerika. Nach dem der russische Zar ganz aktiv um deutsche Auswanderwillige geworben hatte, kam es auch zur großen Auswanderungswelle in Richtung Südrussland.
Danach wurde es wieder ruhiger. Im Bietigheimer Wetterbericht von 1818 ist vermerkt: "Es regnete fast 3 Monate ununterbrochen. Danach kam eine Trockenperiode. Weizen und Wein gerieten gut."
Die nächste Auswanderungswelle fand 30 Jahre später statt. Damals war der Hunger nach Freiheit und die damit verbundene Revolution von 1848 der Auslöser.
 
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